Lutz kann’s besser als jede Backmischung, Theresa schwört auf Zimt im Kürbis-Chutney und Jeanny versteckt kandierte Pekannüsse in der Karamelltarte. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Doch im Netz sind sie zu Hause. Dort nämlich, wo die Webseiten sich so süffig lesen, wie sich Erdbeerbowle trinkt. Wo Schriftzüge farblich auf das Rote-Bete-Carpaccio abgestimmt sind und über allen Bildern ein warmer Instagram-Filter liegt. Auf sogenannten Foodblogs ist die Welt noch in Ordnung: „Wenn das Leben dir eine Zitrone reicht, mach’ Limonade daraus“, ist eine Devise, die wohl jeder Foodblogger verinnerlicht hat. Denn darum geht es: Wie mache ich aus wenigen Lebensmitteln ein Gericht, das jedem schmeckt und dabei auch noch gut aussieht? Im Grunde sind Foodblogs personalisierte Kochbücher. Sie benennen Zutaten, erklären die Zubereitung und richten alles hübsch fotogen an. Und doch haben sie eine Komponente, die den meisten Kochbüchern fehlt: Sie zeigen Gesicht. Hinter tiefen Blicken in Kochtöpfe stehen echte Menschen mit echten Geschichten, Lieblingsessen und Lebensmittelunverträglichkeiten. Die meisten von ihnen sind weiblich und gehören der Generation an, die man gemeinhin Y nennt. Sie mögen gern Yoga, bio und fair produzierte Kleidung, noch dazu guten Kaffee, Grafikdesign und Möbel aus den 70ern. Sie sind die Alternativen und streben nach Individualität. Ein Ei gleicht dem anderen? Nicht mal in ihrem Kühlschrank ist das so. So bleibt es auf Foodblogs selten bei einer losen Ansammlung von Rezepten, viel eher wird die eigene Küche zum Gründungsort einer Marke und suggeriert dem zugeneigten Leser: Ich, die Küchenkünstlerin, gewähre einen Einblick in meine heiligen Hallen des Hefeteigs. Doch einen Haken hat dieser Wunsch, einzigartig zu sein: Das unbedingte Wollen eint all die Foodblogger und ihre Plattformen und macht sie dadurch austauschbar. Lediglich die Blognamen variieren, das Layout ist meist ähnlich, die Zutaten werden auf dem immer gleichen Ikea-Tisch abgelichtet.
Doch das Foodblog-Konzept scheint beliebt zu sein: Im Netz gibt es eine unüberschaubare Fülle an Webseiten, die sich ganz dem kulinarischen Hochgenuss verschrieben haben und dabei erfrischend alltagstauglich bleiben. Keine Haute Cuisine steht auf dem Speiseplan, sondern gut nachkochbare Gerichte. Mit frischen Zutaten, gerne bio und besonders gerne aus regionalem Anbau. Gleichzeitig sind die Blogs wie Tagebücher. Sie schildern persönliche Erfahrungen und bleiben daher doch meist eher unpersönlich. Der perfekte Tag einer Foodbloggerin sieht in etwa so aus:Mit der Spiegelreflexkamera um den Hals schlendert die 24-jährige Marie über den Wochenmarkt. Sie schnuppert mal hier an frischem Thymian, lässt sich mal dort ein paar Äpfel der Region erläutern und schäkert mit dem Fischverkäufer, der sich über das interessierte Mädel freut. Wohlig inspiriert kehrt die webaffine junge Frau in ein hübsches Café ein, lässt sich Cappuccino und Mini-Gugelhupf servieren, selbstverständlich samt Rezept, und tippt sofort eifrig ihre Wochenmarkterlebnisse in ihr Notebook. Auch die Fotos und das Gugelhupf-Rezept werden gleich hochgeladen. Schnell noch eine geschmackvoll klingende Überschrift ausgewählt, und mit dem Zusatz „Lasst es Euch schmecken! Eure Marie“ wird alles hochgeladen.
Foodblogs stillen mehr als den Hunger auf Lebensmittel. Sie sind Zeitvertreib und Inspirationsquelle. Sie verkörpern einen wohlsituierten Lebensstil, füttern die Seele und schmecken dem Herzen. Sie sind ein Stück Selbstverwirklichung, das sich im Kochen ausdrücken kann, besonders aber das Teilen von Ideen meint. Unter jedem Blogeintrag gibt es eine Kommentarfunktion, durch die sich die Leser aktiv einmischen und beteiligen können. Sie loben Rezepte und Bilder, geben Tipps, was man noch verfeinern könnte, und verweisen auf den eigenen Foodblog. Dabei ist der Ton stets freundlich. Krawallmacher tummeln sich woanders.Hier geht es um das Miteinander unter Gleichgesinnten. Das „Wir“ steht im Mittelpunkt. Wir Veganer, wir Hobbyfotografen, wir Foodblogger. Sie wollen die Welt nicht verändern, sondern einfach ihre schönen Seiten hervorheben. Eine Tasse heiße Schokolade ist Trost an dunklen Tagen. Ähnlich verhält es sich mit Foodblogs. Man kann sich an ihnen selig klicken und satt scrollen. Einfach, weil sie ein Stück Lebensqualität wiedergeben, das man vielleicht an anderer Stelle schmerzlich vermisst. Gleichzeitig entpuppt sich für manche Foodblogger die eigene Koch-Plattform als ungeahnt erfolgreiches Geschäftsmodell. Je mehr Aufrufe der Blog zu verzeichnen hat, desto größer wird auch das Interesse von Werbeanbietern. Wie wäre es zum Beispiel mit den eigenen Rezeptideen als trendige App?
Auch der Buchmarkt hat in Foodblogs ein verkaufsträchtiges Potenzial erkannt. Welche Mittzwanzigerin mit den Hobbys Kochen, Fotografie und Gestaltung träumt nicht davon, ihr eigenes Kochbuch in den Regalen der Buchläden zu entdecken? Denn so schön die Selbstverwirklichung im Internet auch sein mag, einen namhaften Verlag an der Hand zu haben, der bereit ist, die sorgsam ausgewählten und liebevoll inszenierten Rezepte auf Hochglanzpapierseiten zu drucken, ist doch noch mal eine besondere Form der Anerkennung. Bei ganz erfolgreichen Bloggern schließen sich Kochkurse, Foodcamps und Fernsehformate an. Aus Hobby wird Beruf. Eine Marke ist entstanden. So vertreibt der Blogger und Geologe Lutz Geißler aus dem Erzgebirge (ploetzblog.de), der am liebsten Brot bäckt, inzwischen sein eigenes Backzubehör, schreibt Bücher, gibt Kurse und entwickelt Rezepte für Bäcker. Bloggerin Jeanny, die im bürgerlichen Leben Virginia Horstmann heißt, hat aus ihren Ideen das Buch „Frühstücksglück“ gemacht und nennt 45 leckere Gründe, früh aufzustehen; überdies leiht ihr Blog „zuckerzimtundliebe.de“ einem weiteren Kochbuch den Titel. Und Bloggerin Theresa Baumgärtner („theresaskueche. de“) hat es sogar zu ihrer ganz eigenen Fernsehsendung „Theresas Küche“ gebracht: Im NDR kocht, dekoriert und plaudert sie sich in die Herzen der Zuschauer. Bis zu solchen Erfolgen ist es allerdings ein weiter Weg, und die Konkurrenz ist groß. Bei Foodblog-Awards werden die Lieblinge der Leser, User und Follower gekürt. Maßstäbe der Bewertung sind Innovationskraft, Ästhetik und Persönlichkeit des Autors. Ein Gesamtkunstwerk ist gefordert. Wenn das Profilbild der Foodbloggerin so leicht anmutet wie ein Biskuitteig, kann das von Vorteil sein. Das Auge isst mit.
Was Theresa, Lutz, Jeanny und all die anderen am Ende verbindet? Sie scheinen durch den Wunsch motiviert zu sein, Schönes haltbarer zu machen, als es ist. Foodblogger entscheiden sich gegen Ein-Weg- Produkte und für das Einwecken von Dingen. Sie machen Lebensmittel und ihre Geschichten mit ihren Blog-Posts ein Stück dauerhafter und verleihen einem Internet- Phänomen eine beinah nostalgische Note.
Worte: Hanna Buiting | veröffentlicht am 15.August 2015 in der Sächsichen Zeitung (Dresden) |
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