Herzworte

Abschied von Bullerbü

24. August 2011

Das kleine Mädchen klappte den Koffer noch einmal auf. Vor ihr lag ihr bisheriges Leben. Eingepackt in Seidenpapier und weiche Tücher, damit nichts zerbrechen konnte, damit nichts unterwegs verloren gehen würde.
Im Schneidersitz saß sie davor, die Füßchen in Riemchensandalen, die blonden Haare standen ihr an manchen Stellen vom Kopf ab, das rote Kleid mit den weißen Blumenmustern war ihr Liebstes.
Behutsam berührte sie all die Schätze, die sie im Laufe der Jahre voll Bedacht in den Koffer gelegt hatte. Wie beim Betrachten eines Fotoalbums zogen die Bilder, Gefühle und Erinnerungen an ihr vorbei und berührten sie auf eine Weise, dass ihr warm ums Herz wurde.
Eine glückliche Zeit, eingepackt in diesem Koffer. Bereit für eine Reise, dessen Ziel das kleine Mädchen noch nicht kannte. Eine Reise, vor der ihr noch bang war und auf die sie sich doch freute.
Vorsichtig nahm sie die lila Babydecke in die Hand und roch daran. Mama und Papa und ganz viel Glück atmete sie dabei ein.
Ein Holzbrettchen mit Mäusen darauf, erinnerte das kleine Mädchen an Abendessen mit der Familie. Frisch gebadet im Nachthemd mit noch feuchten Haaren, hatten sie alle zusammen Käsebrote gegessen und Apfelstücke in Milch getaucht, weil das so sehr nach Zuhause schmeckte.
Die CD mit Reimen von Ringelnatz, die auch das Gefühl eines Urlaubs im Sommer zurückholen konnte.
Ein dunkelblaues Schleifenband, das ihr vor langer Zeit zu Weihnachten in die Haare geflochten worden war, während sie mit ihren Schwestern “Ronja Räubertochter” gesehen hatte.
Ihr war, als klebte noch Sand an dem Würfel, der eingebettet in die Babydecke ebenfalls einen Platz in ihrem Koffer gefunden hatte und sie an das einzige Spiel erinnerte, was sie je wirklich gemocht hatte.
Die Buchstaben ihres Namens, aus Holz geschnitzt, die wie eine Eisenbahn jahrelang auf ihrem Fensterbrett gestanden hatten und ihr ins Gedächtnis riefen, dass sie eigentlich schon immer ein Buchstabenmensch gewesen war, würden ebenfalls mit auf die Reise gehen.
Zuletzt: ein Foto mit ihren Herzblutmenschen darauf.
Und eine Muschel, weil sie es war, die sie auf ewig miteinander verbinden würde.
Immer war sie begleitet worden. In guten und in weniger guten Zeiten. Schlechte hatte es eigentlich nie wirklich gegeben. Während jedes Höhenflugs waren ihre Eltern ihr doppelter Boden gewesen, sicherer Halt, vertraute Hände, die sie auffingen, wenn sie fiel.
Kindergarten-Grundschul-Gymnasiums-Zeiten hatten sie mit durchlebt und durchlitten. Durch das Funkeln der Zuversicht in den Augen ihrer Eltern hatte sie gelernt, sich nicht unterkriegen zu lassen. Frech und wild und wunderbar.
Wurzeln und Flügel waren wohl das wertvollste Geschenk, das ihr auf ihre Reise mitgegeben würde. Auch in Zukunft.
Mit einem Lächeln auf den Lippen klappte sie den Koffer zu, verschloss ihn gut und war sich ganz sicher: sie war jetzt erwachsen, ließ das kleine Mädchen ein wenig in den Hintergrund treten, musste auf eigenen Beinen stehen und doch würde sie immer zurückkehren können. Und erwartet werden. Konnte es ein größeres Glück geben?

 


Worte: Hanna Buiting | Bild: Charlotte Viefhaus – www.charlottes-augenblicksammlung.blogspot.de

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