Was ich üben will, auch im Advent, das ist: Wach bleiben. Wachend und wachsam. Wie die Krankenschwestern in der Nacht und die Hirten auf dem Feld. Ich will die Welt wahrnehmen. So wie sie ist. Den Vorhang beiseite ziehen, den Sand aus den Augen reiben, die Scheuklappen ablegen. Und auch, wenn’s wehtut: Nicht wegsehen. Sondern wahrnehmen. Annehmen. Die Welt und die Menschen, die auf ihr leben. So viele. So unterschiedlich. Und doch so gleich. An Würde und Recht. So sollte es zumindest sein.
Trotz Lichterglanz und Zuckerguss will ich nicht vergessen: Wir leben in Puzzlestücken. Alles ist Stückwerk. Und nur zusammengenommen, zusammengelebt, zusammengeliebt kann daraus ein Kunstwerk werden.
Mein Blick soll über den Plätzchentellerrand hinausreichen. Mein Leben nicht bloß nach Vanille schmecken. Ich will mich aussetzen. Der Erwartung. Dem Sehnen. Dem Unvollkommenen.
Mein Patenkind fragte neulich: „Warum werden manche Babys im Stall geboren?“ Und ich hatte keine Antwort. Auf dem Parkplatz des Supermarktes fragte mich gestern eine obdachlose Frau: „Kann ich heute bei dir schlafen?“ Und ich hatte keine Antwort. Eine Freundin fragte mich mal: „Glaubst du an Gott oder willst du nur an ihn glauben?“ Und ich hatte keine Antwort.
Doch ihre Fragen werden mir zum Zeichen. Anzeichen für das Lückenhafte im Leben. Das Antwortschuldigbleiben. Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit.
Und deswegen ist es das, was ich im Advent üben will: Wach bleiben. Wachend und wachsam. Ich will hinsehen, hinhorchen und hinfühlen. Mich aussetzen. Der Erwartung. Dem Sehnen. Dem Unvollkommenen.
Auf dass Fragen vielleicht irgendwann selbst zur Antwort werden. Auf dass aus den Puzzlestücken, dem Stückwerk, vielleicht irgendwann ein Kunstwerk wird. Vielleicht zu Weihnachten.
Worte: Hanna Buiting | Bild: Hannes Leitlein