Herzworte

Ben liebt Anna

10. Juli 2017

Im zweiten Schuljahr war ich verliebt in B. Und ich glaube, B. war auch verliebt in mich.

Wir saßen im Klassenzimmer nebeneinander, teilten Radiergummi, Vanillemilch und rot-glühende Ohren und konnten unser Glück kaum fassen, als unsere Lehrerin uns eine neue Schullektüre vorstellte: „Ben liebt Anna“, was wir natürlich in „B. liebt Hanna“ umbenannten. Da war sie: Die erste Liebesgeschichte meines Lebens. Ben, der verliebt ist in Anna, das polnische Mädchen mit dem langen geflochtenen Zopf. Verliebt mit Herzklopfen, Willst-du-mit-mir-gehen-Brief und Liebeskummer, weil Anna wegzieht und Ben zurückbleibt. Was für eine Tragik.

Verschlungen habe ich dieses Buch, mir meine eigene Liebesgeschichte dazugeträumt, Briefchen geschrieben, die ich dann doch nicht abgeschickt habe. Aus B. und mir ist nie ein richtiges Paar geworden, im dritten Schuljahr war ich dann verliebt in J. und viele Jahre habe ich nicht mehr an „Ben liebt Anna“ gedacht. Es blieb eine Schullektüre unter vielen, die wohl noch irgendwo im Erinnerungsschrank meiner Eltern liegen muss.

Aber heute, vor etwa einer Stunde, habe ich erfahren, dass Peter Härtling gestorben ist. Der Autor, der Schöpfer, der Erfinder von Ben und Anna und ihrer kleinen, feinen Liebe, lebt nicht mehr. Und auf einmal fiel sie mir wieder ein, diese Geschichte, diese allererste, die mir beim Lesen Herzklopfen machte, meine Wangen rosa färbte und mich träumen ließ von der Liebe – ja, und damals noch von B.

Und wie mir das oft geht, wenn ich vom Tod eines Schriftstellers oder einer Schrifstellerin höre, denke ich zuallerst an die Geschichten, die sie mir schenkten und an die Spur, die sie damit in meinem Leben hinterlassen haben.

Danke, Peter Härtling.

 

Worte: Hanna Buiting | Bild: Charlotte Viefhaus

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