In der U-Bahn riecht es nach abgestandenem Zigarettenrauch, Dönerresten und Schweiß. Es riecht nach einer durchtanzten Nacht, nach Alkohol und Bässen im Blut. Es riecht nach betrunkenen Küssen mit Fremden, die Fremde bleiben werden und nach überhitzten Clubs nahe der Spree.
Es riecht nach einer Nacht, über die sich der Frost gelegt hat, unbarmherzig kalt. Eine Nacht, die ohne Abendbrot (und ohne Mittagessen und ohne Frühstück) begonnen hat und in der eine alte Pappe im Eingangsbereich eines Supermarkts, ein Bett ersetzt hat. Die verbrannten Reste des Straßenfegers haben die Hände gewärmt. Ein paar Minuten lang. Es riecht nach Bier und Schnaps und nach irgendwas, was immer noch den Körper lähmt und doch so verheißungsvoll anfing, dieses bunte Glitzern der Welt. Schöne Welt.
Es riecht nach nassem Hundefell und bläulichen Erinnerungen auf der Haut. Manche werden langsam heller, fast gelb, aber ein Rollkragenpullover ist trotzdem sicherer. Die Kinder gehören doch nach Hause, zu Mutti.
Sonntagmorgens. In Berlin.
In der U-Bahn riecht es nach teurem Parfüm, nach neuen Stöckelschuhen, nach perlmutt- farbenem Nagellack. Es riecht nach Frühstückslust und gut gefülltem Portmonee. Die Auswahl ist so groß, welches Café wollen wir nehmen?
Es riecht nach Zeit, auf dem Trödelmarkt herumzuschlendern, um kleine und große Schätze zu ergattern. Zum Verschönern der Altbauwohnung mit Dielenboden und Stuck an der Decke. Es riecht nach Vorfreude auf den Theaterbesuch am Abend und nach dem Versinken in samtig- weiche Sessel im kleinen Programmkino im 3.Hinterhof in der 5.Etage.
Es riecht nach Toleranz, einer Einladung zum Zuckerfest und nach wir-haben-dich-trotzdem-lieb. Es riecht nach Musik aus großen Kopfhörern und Club-Mate-Flaschen vom Späti in Jutebeuteln. „Ik bin `ne Jute“, steht darauf. Es riecht nach Abenteuerlust, nach großen Träumen, nach Weltveränderertum. Nach Abschieden und Neuanfängen.
Sonntagmorgens. In Berlin.
In der U-Bahn riecht es nach Geschichte, nach Mauersteinen und Stacheldraht. Es riecht nach großen Denkern, die diese Stadt prägten und veränderten. Es riecht nach Verrat und Überwachung, nach versteckten Wanzen hinter dem Spiegel in der Diele und nach Touristen, die darüber staunen, wie mehrere Menschen in den Kofferraum eines Trabbis gepasst haben konnten. Und es riecht nach Einheit.
Es riecht nach Kapiteln, in den Geschichtsbüchern, die gegen das Vergessen verfasst wurden und nach Denkmälern für mutige Menschen, die ein Stern auf der Jacke, nicht am Menschsein hinderte.
Es riecht nach Politik und nach großen Worten, auf die Taten folgen sollten. Es riecht nach aufgekratzten Journalisten, nach Hartnäckigkeit und Neugier. Es riecht nach Schlagzeilen im Berliner Fenster und nach Unverständnis über ein Flughafenprojekt von ungeahnter Dauer.
Sonntagmorgens. In Berlin: Ich bin unterwegs. Und fühle mich zuhause.
Worte: Hanna Buiting | Bild: Charlotte Viefhaus – http://www.charlottes-augenblicksammlung.blogspot.de
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