Weltworte

Sonntags unter Soldaten

10. März 2015

Wenn die Sorge um den Liebsten zum Leben gehört: Janine W. ist Ehefrau eines Berufssoldaten im Kosovo-Einsatz. Irgendwie dient auch sie Deutschland.

Erst einmal gibt’s ein Glas Prosecco. Als Wertschätzung und zum Lockerwerden. Es ist Internationaler Frauentag. Gefeiert wird er in der Wettiner Kaserne in Frankenberg. Das Familienbetreuungszentrum (FBZ) der Bundeswehr hat eingeladen, und 60 Frauen sind gekommen. Ein seltenes Bild in einer Männerdomäne. Die Frauen kennen sich nicht alle, haben ganz unterschiedliche Lebensgeschichten. Was sie verbindet: Ihre Männer, Brüder und Söhne dienen Deutschland. Als Berufssoldaten bei der Bundeswehr sind sie im Einsatz. Im Kosovo, in Afghanistan oder im Irak. Eine von ihnen ist Janine W. Gemeinsam mit ihrer vierjährigen Tochter Alina und ihrer Schwiegermutter ist sie zu Gast im FBZ. Es soll ein unbeschwerter Tag sein. Mal den Alltag vergessen, sofern das möglich ist. Denn für die Frauen ist dieser Sonntag unter Soldaten mehr als ein Wochenenderlebnis. „Obwohl wir uns nicht kennen,
hab ich das Gefühl, unter meinesgleichen zu sein“, sagt Janine W. Ihr Mann Thomas ist im Kosovo stationiert. Als Oberfeldwebel und Ausbilder jüngerer Soldaten. Erst im Juni kommt er zurück. Dann war er fünf Monate lang nicht zu Hause. Nachrichten machen die 27-Jährige hellhörig. Das Kopfkino kennt die brutalsten Szenen. „Aber der Kosovo ist okay. Da ist es ja im Moment vergleichsweise ruhig“, gibt sich Janine W. tapfer. „Man kann nicht immer Angst haben, sonst wird man verrückt. Es gehört einfach zu unserem Leben dazu.“

Janine W. ist eine zarte Person. Sie trägt schmale Schuhe mit Absatz, ein enges Kleid, Seidenschal und eine große Sonnenbrille, zurückgeschoben im hellblonden Haar. Sie und Thomas kennen sich seit elf Jahren, haben sich ganz jung verliebt. Janine W. ist Zahnarzthelferin. Ihr Mann hat nach der Schule den Grundwehrdienst absolviert. Das hat ihm gut gefallen. „Er ist ein Typ für die Bundeswehr“, sagt seine Frau. Doch erst einmal kam eine Ausbildung zum Hotelkaufmann. Viel zu arbeiten und nur selten zu Hause zu sein ist dem jungen Paar nicht fremd. Und doch ist der Job bei der Bundeswehr ein besonderer. Deshalb gibt es auch das Familienbetreuungszentrum in Frankenberg. Für die Angehörigen der Soldaten im Einsatz ist es rund um die Uhr erreichbar. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Für Probleme, für Fragen und für Sorgen. Einmal im Monat findet außerdem ein Treffen für Soldatenfamilien statt. Dann steht der Spaß im Vordergrund. Das Leben mit der Bundeswehr soll so normal wie möglich sein. Es sind nicht nur die Soldaten, die Deutschland dienen. Auch ihre Angehörigen bringen Opfer. Vor allem des Verzichts. Janine W. hat sich daran gewöhnt, dass ihr Mann nicht zu Hause lebt. Und doch gibt es Momente, da fehlt er ihr. Denn auch wenn Thomas W. gerade mal nicht im Ausland stationiert ist, kommt er nur am Wochenende nach Chemnitz, wo die Familie wohnt. Manchmal fällt die Umstellung dann schwer. Janine W. hat sich das Leben mit Alina eingerichtet. Sie fühlt sich als Alleinerziehende. Plötzlich zu dritt zu Hause zu sein war anfangs ungewohnt. Zu Beginn von Thomas’ Soldatenleben gab es öfter Reibereien zwischen den beiden. „Das war damals meine größte Angst: Dass wir uns entfremden könnten“, erinnert sich die junge Frau. Sie weiß von Beziehungen, die am Militärdienst scheiterten. Krieg lässt nicht kalt. Lebensentwürfe sind oft zu verschieden. Die lange Abwesenheit des Partners veränderte die Gefühle. „Wir reden viel miteinander, erzählen uns alles“, sagt Janine W. Und noch etwas: „Ich stehe immer zu ihm und er zu mir.“ Dieses sichere Gefühl helfe ihnen beiden: Dass ihre Liebe bleibt, Bestand hat. Aller Sorge zum Trotz.

Nur für ihre kleine Tochter wünscht sich Janine W. manchmal etwas anderes. Als sie erzählt, wie sie Alina auf die lange Abwesenheit ihres Vaters vorbereitet, bricht ihre Stimme plötzlich weg. Tränen treten in ihre Augen. Rasch blinzelt sie sie weg. Janine W. hat sich ein Ritual einfallen lassen, das es ihrer Tochter leichter machen soll, die Zeit des Wartens auszuhalten: In einer großen Schüssel liegen Süßigkeiten. Für jeden Tag, an dem Alinas Papa im Kosovo ist, gibt es eine Nascherei. Thomas W. kommt wieder, wenn der Boden der Schüssel vollständig zu sehen ist.

Auf dem Programm des Frauentags in der Kaserne steht auch ein Erste-Hilfe-Kurs für Autofahrer. Stabile Seitenlage, Herzdruckmassage und Radwechsel werden von einem Soldaten erklärt. Janine W. hört nicht richtig zu. Sie kann das schon. Ihre Eltern haben ihr ganz früh beigebracht, sich selbst zu helfen. Vielleicht ist es das, was sie ihren Alltag meistern lässt. Erst als der Oberstabsgefreite fragt, ob jemand wissen wolle, wie man bei Kleinkindern Erste Hilfe leistet, tritt Janine W. einen Schritt näher heran. Das interessiert sie. Die Familienplanung ist noch nicht abgeschlossen. abei machen sie nur selten Zukunftspläne. Man weiß nie, wie das Leben spielt. „Ich habe gelernt, in Etappen zu denken“, sagt Janine W.

Dass der Beruf ihres Mannes Gefahren birgt, blendet sie meistens aus: „Als Schutz auch für mich selbst.“ Sie hat den Soldatenberuf akzeptiert. Es war seine freiwillige Entscheidung und die trägt sie mit. Manchmal schicken Janine W. und ihre Tochter Päckchen in den Kosovo. Mit der Feldpost geht das gut. Alina malt oft etwas für ihren Papa. Sie packen Fotos dazu, Bettwäsche und Süßigkeiten. Etwas, das Thomas W. an zu Hause erinnert. Dass er nicht vergisst, wo er hingehört. Zweimal die Woche skypen sie miteinander. Thomas’ erste Frage ist immer, ob zu Hause alles gut ist. Darum, dass ihr Mann Traumata aus seiner Wehrdienstzeit davontragen könnte, sorgt Janine W. sich nicht. „Ich habe das Gefühl, dass das besonders Soldaten erwischt, die aus reiner Abenteuerlust zum Bund gegangen sind“, sagt sie. Ihr Thomas sei da anders. „Er ist runtergegangen, weil das sein Auftrag ist.“ Solide sei ihr Mann, zuverlässig und verantwortungsbewusst. Sein Beruf, eine Berufung. Doch auch die kennt Grenzen. Bis 2020 geht sein Wehrdienst noch. Dann sind zwölf Jahre bei der Bundeswehr vergangen. Vielleicht wartet ein Job bei der Polizei auf ihn. Vielleicht auch etwas ganz anderes. Sicher ist nur: Janine wird an seiner Seite sein. Das hat sie ihm schließlich versprochen.

„Durch den Frauentag hier wird der Alltag meines Mannes greifbarer“, sagt Janine W. Sogar schießen dürfen die Frauen. Ein Sturmgewehr haben noch nicht viele in der Hand gehalten. Am Ausbildungssimulator können sie den Versuch wagen. Eine Videoinstallation ermöglicht den Blick aufs freie Feld. Das Licht geht aus, die Waffen werden entsichert, Schüsse fallen. Die Frauen feuern sich gegenseitig an. Es wird viel gelacht an diesem Tag, die Stimmung wirkt ausgelassen. Aber immer wieder gibt es auch stille Gespräche. Wo ist dein Mann gerade? Wann kommt er zurück? Janine W. denkt wieder in Etappen: „Im Juni“, sagt sie. „Im Juni ist er wieder da.“

 


Worte: Hanna Buiting | veröffentlicht am 10.03.2015 in der Sächsischen Zeitung (Dresden) | Bild: Thomas Kretschel

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