Lichtworte

Sternstunden im Advent

4. Dezember 2016

Es gibt Zeiten, die muss man sich einfach nehmen. Damit das Leben nicht einfach so vorbeirauscht. Damit nicht plötzlich Weihnachten ist und man vom Advent gar nichts mitbekommen hat. Damit auch die Vorfreude ihre Zeit hat, das Innehalten und Wartenkönnen.

Am Freitagabend klingelt es um halb 10 Uhr an der Haustür. „Wir haben das Auto voll schöner Dinge“, begrüßt Charlotte uns beim Hereinkommen. Wir  umarmen uns. Freundinnen und Schwestern. Mütter und Töchter. Zu fünft wollen wir ein Sternstundenwochenende verbringen. Ein paar kostbare Tage im Advent.

Geschenkelisten bleiben unbearbeitet, den Christbaum kann man auch ein paar Tage später noch kaufen und eine romantische Schlittenfahrt mit dem Liebsten wäre an diesem Wochenende eh nicht drin – das Thermometer zeigt 16Grad. Stattdessen setzen wir herrlich-duftenden Glühwein auf und machen ein Mädelswochenende.

Hinter uns allen liegt eine volle Woche. Bei Annette sind die Handwerker im Haus, Kristina kommt gerade erst aus der Agentur und mein Zug von Berlin nach Essen hatte eine halbe Stunde Verspätung – und das ganz ohne Schneeflocken. Aber jetzt sind wir da. Wir haben uns vorgenommen, es einander schön zu machen. Jeder auf seine Art und Weise. Ohne großes Pläneschmieden, wir schauen einfach, worauf wir Lust haben und was uns passend erscheint. An Ideen mangelt es uns nicht.

Und so beginnen wir mit einem Abend, an dem wir nicht auf die Uhr schauen. Es gibt Fladenbrot und Frischkäsecreme, getrocknete Tomaten und Oliven. Wir trinken Wein und knuspern gebrannte Mandeln. Wir quatschen, hören die 2-Flügel-CD „Weltjahresbestzeit“, zünden Kerzen im Wohnzimmer an und ich erzähle eine Geschichte, die so zwar nicht in der Bibel steht und trotzdem von Jesus handelt. Und von Sternstunden. Von Licht und Gastfreundschaft. Von einem Abend mit Freundinnen. Es ist schon ein neuer Tag, als wir in unsere Zimmer verschwinden. Auch so etwas besonderes: Ein Zimmer mit der eigenen Mutter oder Schwester zu teilen. Wie lang ist das her?

In den Tag hineinleben

Am nächsten Morgen treffen wir uns in Schlafanzügen an der Kaffeemaschine. „Möchtet ihr Milchschaum?“, fragt Astrid, die hier eigentlich zu Hause ist und sich doch seltsam nach Urlaub fühlt. Wie wir alle. Es gibt ein herrliches Frühstück. Das ganze Haus duftet nach frischen Brötchen, Kaffee und fünf verschiedenen Damendüften. Während die eine noch duscht, blättert die andere schon im Andere-Zeiten-Adventskalender, liest ein paar Sätze laut vor. Auf jedem Frühstücksteller liegt ein selbstgebackenes Hefesternchen mit einem Teelicht in der Mitte und einem Zettel daneben:„Licht sei das Kleid, das du trägst“ – nach Psalm 104,2. Es klappt: Wir tun einander Gutes, machen es einander schön. Jede nach ihrem Geschmack, ihrer Leidenschaft, ihrem Talent. Auch für heute haben wir keine Pläne gemacht, weil wir alle uns das so oft wünschen: Einen Tag, in den man einfach mal hineinlebt. Schaut, was passiert. Sich nach dem Wetter richtet, nach der eigenen Müdigkeit oder dem eigenen Appetit.

Also starten wir den Tag mit einem Spaziergang. Wir werden zu Himmelsstürmerinnen, erklimmen die Dilldorfer Höhe, ein Stadtteil im Essener Süden, spazieren hinunter zum Baldeneysee. Wir reden, wir fünf. Über die letzten Wochen, über die letzten Monate, die letzten Jahre und dann ganz viel über die Zukunft. Über das Mutter- und Tochtersein. Wie fühlt es sich an, wenn die Töchter groß sind, selbst heiraten und Kinder bekommen wollen? Ab wann überfärbt man die grauen Haare nicht mehr? Wie schafft man es, 25 Jahre verheiratet zu sein und dabei so glücklich zu bleiben wie am Anfang? Die frische Luft tut uns gut. Sie löst in uns etwas aus, wir kommen zur Ruhe, finden zu uns selbst und zueinander.

„Wäre es unpassend, wenn wir an so einem Tag nach Klamotten schauen?“, frage ich die anderen, als wir am Ende unseres Spaziergangs an einer kleinen Boutique vorbeikommen. Wenig später kichern wir hinter Umkleidevorhängen, probieren Gürtel und Taschen aus, kaufen uns einen Pullover. Einfach, weil bald Weihnachten ist und es sich gerade so gut anfühlt. Auf dem Markt besorgen wir ein paar Dinge fürs Mittagessen. Chili con carne und noch eine Flasche weißen Glühwein. Aufgaben verteilen wir an diesem Wochenende nach dem Lustprinzip. Während das Chili auf dem Herd blubbert, lüften Charlotte und Annette das Geheimnis ihres vollgepackten Autos: Eine Nähmaschine haben sie dabei. Mit Stickfunktion. Außerdem tausend schöne Stoffe. Den ganzen Nachmittag rattert das Maschinchen im Esszimmer. Stulpen entstehen und Kissenbezüge. Kristina näht sich ein Stirnband. Wer die Stille sucht, verschwindet in Astrids Arbeitszimmer, das sie zu einem kleinen Meditationsraum umgebaut hat. Eine Klangschale wartet dort, ein Gebetshocker und Entspannungsmusik. Ich knete in der Küche einen Hefeteig. Morgen ist der 13.Dezember. Das Fest der heiligen Lucia. Da dürfen Safranbrötchen nicht fehlen.

Das Leben feiern

Als es dunkel wird, steigen wir alle ins Auto und fahren nach Bochum, zu einem Freund, der dort die Abendmesse hält. Wir sitzen nah beieinander, sehen zu, wie die dritte Kerze am Adventskranz entzündet wird, singen gemeinsam Lieder, lauschen der Predigt, die von Zufluchtsorten und Herbergen erzählt. Ich bekomme eine Gänsehaut vor lauter Vorweihnachtsfreude.

Am Abend lassen wir es uns wieder gut schmecken. An diesem Wochenende werden keine Kalorien gezählt. Wir probieren die ersten Safranbrötchen und quatschen, vergessen die Zeit. Herrlich, dieses Wochenende. Ein unendlich langer Tag. Mitten in der Nacht schieben wir noch eine DVD in den Player, einfach weil wir Lust drauf haben und keine von uns morgen früh raus muss. „Verstehen Sie die Belliers?“ Französisches Filmchen mit Sommerflair in einer Dezembernacht. Auch das ist Advent.

Den Sonntag feiern wir mit einem Pyjamafrühstück. Kerzen brennen, die Sonne kommt raus, wir sind selig. Es gibt weichgekochte Eier und für die, die möchten, einen Prosecco. Zur Feier des Tages. Und plötzlich sprechen wir über Gott. Über Herkunft und Prägung, Heimat und Sehnsucht. Wir blinzeln Tränen weg und lachen. So war das nicht geplant und doch fühlt es sich genauso richtig an. Der Sonntag vergeht und der Alltag rückt wieder näher.

Der Abschied von unseren Sternstunden fällt uns nicht leicht. So dicht waren diese Tage zu fünft. So besonders. So, als wären wir irgendwie aus der Zeit gefallen. „Wir sehen uns Weihnachten“, sagen wir zum Abschied und winken einander hinterher.

In den Kalender für das kommende Jahr tragen wir für den Dezember „Sternstunden“ ein. Die Vorfreude beginnt ab jetzt.

 

Worte: Hanna Buiting | Bild: Charlotte Viefhaus | Dieser Text ist zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift JOYCE (Bundes-Verlag) erschienen.

 

1 Kommentar

  • Antworten Alexandra Melchior 6. Dezember 2016 um 10:32

    Liebe Hanna!
    Ich habe Deine „Sternstundenzeilen“ gelesen und fühlte mich, als säße ich selbst in Astrids Küche – einfach besinnlich und wunderschön!!!
    So und nicht anders fühlt es sich jedes Jahr zur Gruppenweihnachtsfeier an. Ich freue mich schon auf
    den 22.Dezember.
    Bis dahin fühle Dich herzlich gedrückt!!!
    Alles Liebe
    Deine Alex

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